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Reformstudiengang, Modellstudiengang oder Regelstudiengang. 
Wer macht was und was sind die Vorteile bzw. welche Nachteile gibt es?
Die gute alte Art der Medizinerausbildung hat in den letzten Jahren Platz gemacht für neue, innovative Studienmodelle. Lange Zeit war das Medizinstudium im so genannten Regelstudiengang (etwas mehr als 6 Jahre) klar unterteilt. Die ersten 4 Semester, die so genannte Vorklinik, behandelt die reine Theorie in den Fächern Histologie, Biochemie, Physiologie, Anatomie, Physik, Biologie, Chemie, Psychologie/Soziologie und Terminologie. Sie schließt mit dem ersten Staatsexamen, auch Physikum genannt.
Ab dem 5. Semester befindet man sich dann im klinischen Teil des Medizinstudiums, das sich konkret mit Krankheiten und Therapien beschäftigt. Es werden dann die einzelnen Fachrichtungen (Allgemein, Chirurgie, Dermatologie, etc.) vertieft. Der Unterricht findet ab diesem Zeitpunkt viel in der Klinik statt.
Die Charité Berlin war 1999 die erste Hochschule, die sich im so genannten Reformstudiengang versuchte. Dieser sah vor, von Anfang an die Theorie im Verbund mit der Praxis und dem frühen Patientenkontakt zu lehren. So kann gleich fallorientiert gelernt und Wissen angewendet werden, da Theorie und Praxis gar nicht klar voneinander getrennt werden können. Aus diesem Reformstudiengang wurden die so genannten Modellstudiengänge entwickelt, die sich an den anbietenden Hochschulen jedoch erheblich unterscheiden können. Hier stellen wir die Besonderheiten der verschiedenen Hochschulen vor.
Berlin:
Die Charité in Berlin unterteilt die Ausbildung zum Beispiel in zwei Studienabschnitte mit sechs bzw. vier Semestern. Darauf folgt das Praktische Jahr. Gelehrt wird in Modulen, die sich in Pflicht- und Wahlpflichtmodule unterteilen und aus einer Mischung aus Vorlesungen, Seminaren und Kleingruppenarbeit bestehen. Wichtig sind zum Beispiel auch das problemorientierte Lernen oder die Blockpraktika. Es gibt fortwährende Optimierungsbestrebungen, die Lehrenden sind hier höchstengagiert und motiviert, dafür wird von den Studierenden auch überdurchschnittliches Engagement und Initiative erwartet.
https://www.charite.de/studium_lehre/studiengaenge/modellstudiengang_humanmedizin/

Hamburg:
Das Universitätsklinikum Hamburg- Eppendorf legt in ihrem Modellstudiengang großen Fokus auf die psychosoziale Komponente. Natürlich ist auch hier die wissenschaftliche sowie die praktische Ausbildung umfassend. Dabei werden während des Studiums theoretische und praktische Inhalte eng vernetzt und die sozialen Interaktionen mit den Patienten, aber auch mit den Kollegen intensiv begleitet. Besonders ist hier, dass die Themen aus den Wahlpflichtbereichen dazu befähigen, nach dem Studium direkt in die Forschung einzusteigen.
https://www.uke.de/studium-lehre/modellstudiengang-medizin-imed/index.html
Oldenburg:
Das ebenfalls praxisorientierte Medizinstudium in Oldenburg wirbt zum einem mit ihren innerhalb des Studiums bereits stattfindenden Forschungsprojekten, wodurch schon früh das wissenschaftliche Arbeiten geübt wird. Zum anderen sieht die Ausbildung ein Auslandssemester an der Partneruniversität in Groningen vor. Dort kann ein zusätzlicher Bachelor- oder Masterabschluss erworben werden.
https://uol.de/medizin/studium-lehre/modellstudiengang-humanmedizin/
Köln:
In Köln werden die Schwerpunkte auf Patientenorientierung, fächerübergreifende Lehre und wissenschaftliche Fragestellungen gelegt. Dabei wird die Lehre der klassischen Fachgebiete ergänzt durch interdisziplinäre Veranstaltungen, Blockpraktika zu praktischen Trainings sowie bereits im ersten Semester beginnende Patientenbetreuung. Außerdem werden auch wissenschaftliche Forschungsprojekte angeboten.
https://medfak.uni-koeln.de/studium-lehre/studiengaenge/humanmedizin
Düsseldorf:
Auch das Studium an der Universität Düsseldorf setzt die Schwerpunkte auf Kompetenzorientierung, individuelle Profilbildung und frühen Patientenkontakt. Besonders sind hier aber noch weitere Angebote: Ein Mentoring Programm, bei dem die Gruppen von erfahrenen Ärzten durch das Studium begleitet werden, ein Trainingszentrum für das sichere Anwenden der praktischen Behandlungen oder ein Zentrum für Kommunikationstraining runden das Angebot ab.
https://www.medizinstudium.hhu.de/modellstudiengang.html
Bochum:
Der integrierte Reformstudiengang an der Uni Bochum wirbt mit einem nach Organsystemen und Krankheiten aufgebauten fächerübergreifenden Lehrplan statt wie herkömmlich strikt nach Fächern. gegliedert. Auch hier wird das theoretisch vermittelte Wissen bereits früh in die Praxis geführt. Problemorientiertes Arbeiten in Gruppen sowie Praktika kommen hier zum Einsatz. Auch ethische, gesellschaftliche, ökonomische und kommunikative Aspekte finden hier Berücksichtigung.
https://medizinstudium.ruhr-uni-bochum.de/medidek/infoszumstudium/irm/Index.cfm
Hannover:
Die Uni Hannover bietet „HannibaL (Hannoversche integrierte, berufsorientierte und adaptive Lehre) als alternative zum Regelstudiengang an. Neben der auch hier wichtigen frühen Patientenorientierung wird die hier noch klassisch durchgeführte fächerbezogene Lehre durch fächerübergreifende Module ergänzt. Im so genannten Skills Lab wird Praxis und Kommunikation trainiert. Die Unterteilung der Studienzeit findet in den ersten beiden Jahren in 5, danach in 4 Blöcke statt. Durch die hier eingeführten Prüfungswochen entfällt hier sogar das M1- Staatsexamen.
https://www.mhh.de/medizinstudium/allgemeine-informationen
Aachen:
Im ersten Studienjahr wird hier der Wissensstand der Studenten homogenisiert. Die biologischen Grundlagen und die Funktion des menschlichen Körpers werden interdisziplinär von Vertretern der verschiedensten Fachrichtungen vermittelt. In den zwei Folgejahren werden hier alle Organsysteme ebenso interdisziplinär gelehrt und parallel Untersuchungskurse besucht. Nach der Basisprüfung folgt der dritte Teil mit dem Klinischen Kompetenzkurs im 10. Semester, bei dem an Simulationspatienten das erworbene Wissen praktisch angewendet werden kann.
https://www.medizin.rwth-aachen.de/cms/Medizin/Studium/Studiengaenge/~vft/Modellstudiengang-Medizin/
Mannheim:
Die Uni Mannheim wirbt mit dem Modellstudiengang MaReCuM (das Mannheimer reformierte Curriculum für Medizin und Medizinnahe Berufe). Die Jahrgänge sind klein gehalten und werden durch ein Mentorenprogramm persönlich begleitet. Auch hier wird themenübergreifend gelehrt und die Studenten können schon während der Ausbildung Schwerpunkte setzen. Besonders in Heidelberg ist das Ambulanz- Quartal zum Ende des Praktischen Jahres und die starke Einbindung der Studenten zur Weiterentwicklung und Verbesserung der Ausbildung.
https://www.umm.uni-heidelberg.de/studium/modellstudiengang-medizin/
Heidelberg:
In Heidelberg nennt sich das Studienprogramm HeiCuMed (Heidelberger Curriculum Medicinale).
Heidelberg schreibt sich auf die Fahne, seine Studenten mithilfe sehr motivierter Lehrkräfte sehr gut auf die anstehenden Prüfungen vorzubereiten. Dabei finden moderne Lehrformate mit tutorengestützten Methoden sowie SkillLabs Anwendung. Ergänzt wird all dies durch E-Learning und Lehrfilme für das Eigenstudium. Außerdem gehört in das Grundstudium ein kursfreies Forschungssemester sowie umfassende Begleitung zum Thema Auslandssemester.
https://www.umm.uni-heidelberg.de/studium/modellstudiengang-medizin/
Augsburg:
In Augsburg gibt es den Modellstudiengang erst seit 2019. Auch hier werden vorklinische grundlagenwissenschaftliche und klinische Inhalte integriert unterrichtet. Leitidee ist hier die Integration des biopsychosozialen Modells von Gesundheit und Krankheit. Die aktivierende Lehre soll zu multiperspektivischem Denken und interdisziplinärem Arbeiten befähigen. Auch der frühe Patientenkontakt sowie der frühe Erwerb wissenschaftlicher Kompetenzen wird gefördert.
https://www.uni-augsburg.de/de/fakultaet/med/studium/modellstudiengang-medizin/
Dresden:
Auch Dresden bricht die klassische Studienstruktur des Medizinstudiums auf. Das modular aufgebaute Studium findet für den vorklinischen und klinischen Teil am Campus Chemnitz, die Praktika zu den verschiedenen Fächern am Campus Dresden statt. Das Besondere hier ist, dass der Fokus der Ausbildung auf der Vernetzung und Digitalisierung für die ländliche Versorgung liegt. Dazu kommen innovative Kommunikations- und Medientechnologien zum Einsatz. Hier ausgebildete Mediziner sollen möglichst langfristig an die Region gebunden werden. Die Studierenden nehmen auch hier nicht am Physikum teil, sondern legen eine Äquivalenzprüfung ab.
https://tu-dresden.de/studium/vor-dem-studium/studienangebot/sins/sins_studiengang?autoid=30552
Chemnitz:
Auch das Programm MeDIC zielt auf die langfristige Versorgung der ländlichen Gebiete Sachsens ab.
Der Praxisbezug und die sofortige Verzahnung von Theorie und Praxis sowie ein enges Zusammengehörigkeitsgefühl durch kleine Lehrgruppen und Verbindung von Team und Individualität sind hier entscheidend. Weiter kann die persönliche Unterstützung durch einen Mentor in Anspruch genommen werden. Chemnitz möchte als ehemaliges Zentrum des Maschinenbaus auch die High- Tech- Entwicklung voranbringen.
https://www.klinikumchemnitz.de/beruf-karriere/angebote-fuer-studierende/medic-medizin-studieren-in-chemnitz
Bielefeld:
In Bielefeld befindet sich der Modellstudiengang aktuell in der Planung, um ab dem Wintersemester 2021/2022 durchzustarten. Hier soll ganz besonders die ambulante Medizin in den Vordergrund rücken. Das Physikums wird auch hier von einer äquivalenten Prüfung ersetzt, abschließen soll das Studium mit dem Staatsexamen. Darüber hinaus soll es einen Bachelortrack mit dem Abschluss “B.Sc. Interdisziplinäre medizinische Wissenschaften“ geben, der zwar nicht zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit qualifiziert, wohl aber zur wissenschaftlichen. An der Planung des Studiums arbeiten aktuell 250 Ärzt*innen sowie Vertreter anderer Fakultäten der Uni Bielefeld.
https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/medizin/studium-lehre/humanmedizin/
Fazit zu den Studienmodellen in den Medizinstudiengängen:
Die Vorteile der Modellstudiengänge sind die frühe Verknüpfung von Theorie und Praxis, die Möglichkeit eine Gesamtübersicht zu bekommen und nicht die theoretischen Grundlagen vom praktischen Fall abzulösen. An manchen Unis kommt es zu Lernspiralen, wodurch Themen mehrfach wiederholt werden uns somit besser hängen bleiben. Das frühe Heranführen an körperliche Untersuchungsmethoden macht die Studenten von Beginn an sicher im Umgang mit den Patienten.
Nachteile haben die Modellstudiengänge für Studenten, die planen, in die Forschung zu gehen. Auf die tiefe naturwissenschaftliche Basis wird hier nämlich nicht mehr allzu großer Fokus gelegt. An einigen Unis klappt auch die Absprache unter den Professoren noch nicht problemlos. Da es keine festen Strukturen gibt, ist ein hohes Maß an Organisation und Selbstverantwortung gefordert. Auch ein Studienortwechsel wir im Modellstudiengang schwieriger, da der Stundenplan und die Fächer einzigartiger und nicht so leicht auf andere Studienstandorte übertragbar sind.
Die Vorteile des Regelstudiengangs sind also die klare Struktur und die Tatsache, dass vorklinische Fächer wie Anatomie, Biochemie, Physik etc. ausführlicher behandelt werden und damit das Grundverständnis für die spätere Klinik fundierter ist.